Auslegung des Gutscheinbegriffs beim EuGH anhängig!

Das anhängige Verfahren C-637/20 betrifft einen Vorbescheid des schwedischen Steuerrechtsausschusses, in dem es um die Frage ging, ob es sich bei einer city card um einen Mehrzweck-Gutschein handelt.

Vorabentscheidungsersuchen

Bei dem schwedischen Vorabentscheidungsersuchen C-637/20 (DSAB Destination Stockholm AB) geht es um die Frage, wie die Begriffe „Gutschein“ und „Mehrzweck-Gutschein“ i. S. der MwStSystRL auszulegen sind und was mit ihnen gemeint ist. Die Auslegungsfrage stellt sich im Rahmen eines Verfahrens, in dem ein Unternehmen, das beabsichtigt, unter der Bezeichnung „city card“ eine Karte zum Verkauf anzubieten, die den Inhaber dieser Karte berechtigt, verschiedene Dienstleistungen an einem bestimmten Ort für einen begrenzten Zeitraum und bis zu einem bestimmten Wert in Anspruch zu nehmen, einen Vorbescheid beantragt hatte.

Zugrundeliegender Sachverhalt

Die Klägerin verkauft an Touristen, die Stockholm besuchen, eine Karte. Diese Karte gewährt ihrem Inhaber während eines begrenzten Zeitraums und bis zu einem bestimmten Wert Zugang zu rund 60 Attraktionen, etwa Sehenswürdigkeiten und Museen. Auch rund zehn Personenbeförderungsleistungen etwa durch die unternehmenseigenen Hop-on-Hop-off-Busse und Hop-on-Hop-off-Boote sowie von anderen Vertragspartnern angebotene Sightseeing-Touren gehören dazu. Diese Dienstleistungen unterliegen entweder der MwSt, wobei unterschiedliche Sätze Anwendung finden können, oder sie sind befreit. Der Karteninhaber verwendet die Karte als Zahlungsmittel für das Eintrittsgeld oder Nutzungsentgelt und zahlt nichts zusätzlich, sondern hält nur die Karte zum Einlesen vor ein besonderes Kartenlesegerät. Gemäß einer mit der Klägerin geschlossenen Vereinbarung erhalten die Vertragspartner von dieser die Gegenleistung für jeden Eintritt oder jede Nutzung, wobei ein bestimmter Prozentsatz vom normalen Eintrittsgeld oder Nutzungsentgelt abgezogen wird. Kein Vertragspartner ist verpflichtet, einem Karteninhaber mehr als einmal Zugang zu gewähren. Die Klägerin garantiert keine Mindestzahl an Besuchern. Wird die Wertgrenze erreicht, verliert die Karte ihre Gültigkeit. Die Karte gibt es in verschiedenen Versionen, die sich in ihrer Geltungsdauer und ihrer Wertgrenze unterscheiden. Eine Erwachsenenkarte mit einer Geltungsdauer von 24 Stunden kostet 669 SEK. Während der Geltungsdauer kann der Karteninhaber mit der Karte Dienstleistungen bis zu einem Wert von 1 800 SEK zahlen. Die Geltungsdauer beginnt mit der ersten Nutzung der Karte. Die Karte muss nach dem Kauf binnen eines Jahres genutzt werden.

Der Steuerrechtsausschuss stellte fest, dass die Karte kein Mehrzweck-Gutschein sei. Vergleiche man die Definition für „Gutschein“ mit den Bestimmungen zur Berechnung der Steuerbemessungsgrundlage, ergebe sich, dass auf einem Gutschein ein bestimmter Wert angegeben sein oder er sich auf bestimmte Lieferungen von Gegenständen oder das Erbringen bestimmter Dienstleistungen beziehen müsse. Dem Gutschein müsse eindeutig entnommen werden können, was man bei seiner Einlösung erhalte, selbst wenn sich möglicherweise – im Fall eines Mehrzweck-Gutscheins – Unsicherheiten ergäben, etwa in Bezug auf den Steuersatz oder das Land, in dem die Steuer zu entrichten sei.

Die schwedische Finanzbehörde meint, die Karte zeichne sich nicht dadurch aus, dass sie gegen Waren oder Dienstleistungen eingetauscht werde, und daher sei sie auch nicht als Gutschein anzusehen. Charakteristisch für derartige Karten sei, dass sie nur eine begrenzte Zeit lang gültig seien (zwischen einem und fünf aufeinanderfolgenden Tagen) und dass der auf ihnen angegebene Wert im Verhältnis ihrer Geltungsdauer recht hoch sei. Es handele sich um eine Art Erlebniskarte, die den Karteninhaber berechtige, an einer Vielzahl von Attraktionen und einer unbegrenzten Zahl von Hop-on-Hop-off-Reisen teilzunehmen. Je intensiver die Karte genutzt werde, desto höhere Vergünstigungen erhalte der Karteninhaber, verglichen mit den regulären Preisen, die er für jede Attraktion einzeln hätte bezahlen müssen. Wegen des hohen angegebenen Werts der Karte und ihrer kurzen Geltungsdauer sei es für einen Durchschnittsverbraucher praktisch unmöglich, die Karte voll auszunutzen.

Die Klägerin meint, bei der Karte handele es sich um einen Mehrzweck-Gutschein. Die Vertragspartner seien verpflichtet, die Karte als Gegenleistung anzunehmen. In den für die Karteninhaber geltenden Nutzungsbedingungen sei geregelt, welche Dienstleistungen mit der Karte bezahlt werden könnten und wer die Dienstleistungserbringer seien. Der Karteninhaber könne die Karte vorbehaltlich des Erreichens der geltenden Wertgrenze für sämtliche von den Vertragspartnern des Unternehmens angebotenen Attraktionen nutzen. Die Karte erfülle die in Art. 30a Abs. 1 MwStsystRL genannten Kriterien. Für zusätzliche Anforderungen, um ein Instrument als Gutschein ansehen zu können, gebe es keinen Spielraum. Die Karte könne als Gegenleistung für Dienstleistungen, die unterschiedlichen Steuersätzen unterlägen, verwendet werden. Daher sei die Höhe der auf die von der Karte umfassten Dienstleistungen zu entrichtenden MwSt beim Ausstellen der Karte nicht bekannt.

Bedeutung auch für Deutschland

Die Bestimmungen der MwStSystRL zu Gutscheinen sind noch relativ neu und finden auf Gutscheine Anwendung, die nach dem 31.12.2018 ausgestellt wurden. Der EuGH erhält erstmals Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen, wie die Begriffe „Gutschein“ und „Mehrzweck-Gutschein“ auszulegen sind.

Hinweis: Wie solche Karten zu behandeln sind, war Gegenstand von Erörterungen im Mehrwertsteuerausschuss der EU, ohne dass hierzu ein Konsens (Leitlinie) erzielt werden konnte. Gemäß den Ausführungen im Ausgangsverfahren wurde in Dänemark eine vergleichbare Karte als Mehrzweck-Gutschein angesehen.

Das Verfahren hat auch Bedeutung für das deutsche Recht. Nach § 3 Abs. 15 UStG ist ein Gutschein i. S. des § 3 Abs. 13 UStG, bei dem es sich nicht um einen Einzweck-Gutschein handelt, ein Mehrzweck-Gutschein. Die tatsächliche Lieferung oder die tatsächliche Erbringung der sonstigen Leistung, für die der leistende Unternehmer einen Mehrzweck-Gutschein als vollständige oder teilweise Gegenleistung annimmt, unterliegt der USt nach § 1 Abs. 1 UStG, wohingegen jede vorangegangene Übertragung dieses Mehrzweck-Gutscheins nicht der USt unterliegt. § 3 Abs. 14 und 15 UStG bestimmen mittelbar auch den Zeitpunkt der Steuerentstehung.

Ein Einzweck-Gutschein ist ein Gutschein, bei dem bei dessen Ausstellung (Hingabe) alle Informationen vorliegen, die benötigt werden, um die umsatzsteuerliche Behandlung des durch den Gutschein verkörperten Umsatzes mit Sicherheit zu bestimmen. Die Besteuerung erfolgt dann bereits im Zeitpunkt der Ausgabe bzw. Übertragung des Gutscheins.

Alle anderen Gutscheine, bei denen im Zeitpunkt der Ausstellung nicht alle Informationen für die zuverlässige Bestimmung der USt vorliegen, sind Mehrzweck-Gutscheine. Bei dieser Art von Gutscheinen unterliegt erst die tatsächliche Lieferung bzw. die tatsächliche Ausführung der sonstigen Leistung der USt, die Besteuerung wird also erst bei Einlösung des Gutscheins, nicht aber bei dessen Ausgabe durchgeführt.

Gemessen an den Grundsätzen des BMF-Schreibens v. 2.11.2020 zur umsatzsteuerlichen Behandlung von Einzweck- und Mehrzweck-Gutscheinen dürfte die Tourismuskarte, die im Ausgangsverfahren ausgegeben wird, ein Mehrzweck-Gutschein sein.

Buchtipp:

Der kompakte NWB Ratgeber „Die Behandlung von Gutscheinen im Steuerrecht“ greift die aktuellen BMF-Schreiben vom 2.11.2020 und 13.4.2021 auf und beantwortet alle wichtigen steuerlichen Fragen zu Nutzung und Behandlung von Gutscheinen. Neben den zahlreichen umsatzsteuerrechtlichen Aspekten rund um die Einführung der sogenannten Einzweck- und Mehrzweckgutscheine werden auch die lohnsteuerlichen Faktoren beleuchtet, die sich nach Inkrafttreten des Jahressteuergesetzes 2019 ergeben haben. Nicht zuletzt wird auch die ordnungsgemäße Verbuchung und Bilanzierung von (noch) nicht eingelösten Gutscheinen thematisiert.

Buchcover "Die Behandlung von Gutscheinen im Steuerrecht"

Die Behandlung von Gutscheinen im Steuerrecht

Von Dipl.-Finanwirt (FH) Lennart Vogt, Dipl.-Finanzwirt Steuerberater Karl-Hermann Eckert, Dipl.-Finanzwirt Rüdiger Happe.

1. Auflage. 2021. VII, 142 Seiten. Broschur.
ISBN: 978-3-482-68181-3

Preis: 39,90 €

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