Bayern: Einbeziehung der Compliance in die Steuerprüfung

Bayern startet ein Pilotprojekt zur Einbeziehung von steuerlichen Compliance-Systemen der Unternehmen in die steuerliche Betriebsprüfung. Hierdurch können Compliance-Systeme künftig noch mehr an Bedeutsamkeit gewinnen und werden zusätzlich politisch gefördert. Bayern ist neben NRW oftmals Vorreiter in neuen Projekten der Finanzverwaltung, so dass dieses Projekt bundesweit Beachtung finden wird.

In einer Pressemitteilung v.  machte das Bayerische Staatsministerium der Finanzen sein Vorhaben öffentlich (abrufbar unter: go.nwb.de/0tjf0). Compliance-Systeme sollen in Bayern künftig vertieft im Rahmen von steuerlichen Betriebsprüfungen einbezogen werden. Ziel einer modernen Steuerprüfung soll es nach Mitteilung des Staatsministeriums sein, unternehmensinterne Steuerkontrollsysteme rechtssicher in Außenprüfungen einzubeziehen.

Hintergrund

In vielen Unternehmen werden derzeit interne Steuerkontrollsysteme aufgebaut, um die Einhaltung steuerlicher Pflichten im jeweiligen Unternehmen sicherzustellen. Zu diesen Pflichten zählen die fristgerechte und zutreffende Abgabe der regelmäßigen Steueranmeldungen und jährlichen Steuererklärungen, die vollständige und inhaltlich richtige Bereithaltung von Daten (Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten) und die rechtzeitige Steuerzahlung. Zur Erfüllung dieser Pflichten werden betriebsintern Compliance-Maßnahmen vorgesehen, z. B. Guidelines, ein verbindliches Melde- und Berichtswesen, Fortbildungen der Mitarbeiter, Kontrollprozesse und eine lückenlose Dokumentation. Im Rahmen des Pilotprojekts kann die Finanzverwaltung Erkenntnisse über die Wirkungsweise dieser Steuerkontrollsysteme gewinnen und ihre eigenen Prüfungsmethoden weiterentwickeln. Neu ist, dass sich die bayerische Finanzverwaltung nun gezielt an den Strukturen orientieren wird, die das Unternehmen selbst zur Einhaltung seiner steuerlichen Pflichten vorgesehen hat. Im Ergebnis wird das Unternehmen ein Feedback zur Effektivität seines Steuerkontrollsystems erhalten. Ein Risiko besteht jedoch darin, dass der Betriebsprüfer dem Unternehmen im Konfliktfall ggf. vorhalten wird, selbst geschaffene Unternehmensregeln nicht eingehalten zu haben. Laut der Pressemitteilung erhofft sich die Finanzverwaltung hingegen aufgrund der verstärkten Transparenz, eine zügigere Abwicklung der Prüfungen und damit schnellere Rechtssicherheit. Langfristig könnte nach dieser politischen Planung zudem die gegenseitige Vertrauensbasis gestärkt werden. Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass die Politik offensichtlich die Einführung von Compliance-Systemen durch eine Anreizwirkung beschleunigen möchte.

Beratungstrend zu mehr Steuertransparenz

Zahlreiche Berater haben erkannt, dass die Einführung von Kontrollsystemen Unternehmen im Ergebnis helfen kann, Steuerrisiken zu minimieren. Nicht nur gewerbliche Unternehmen oder Großbetriebe interessieren sich mittlerweile für Steuerkontrollsysteme. Die wachsende Vielfalt der steuerlichen Pflichten kann oftmals nur durch entsprechende Systeme verlässlich eingehalten werden. Deshalb wird auch bei mittelgroßen Unternehmen oder nationalen/internationalen Familienvermögen die Einführung entsprechender Systeme vermehrt in Betracht gezogen.

Vorteil: Rechtssicherheit bei Prüfungen

Ein effektiv wirksames Kontrollsystem vermeidet steuerliche Risiken, die bei Betriebsprüfungen oft erst nach vielen Jahren erkannt werden (können). Besonders misslich ist, dass es sich bei steuerlichen Fehlern oft um Dauersachverhalte handelt, weil ein betrieblicher Prozess einmal zu Beginn (versehentlich) steuerlich fehlerhaft aufgesetzt worden ist und dann jahrelang gleichförmig wiederholt wird. Sollte sich im Rahmen einer Betriebsprüfung herausstellen, dass das Kontrollsystem ungewollte Lücken aufweist, so verbleibt neben dem „weinenden Auge“ gleichzeitig auch das „lachende Auge“, da dadurch die Chance der Optimierung besteht.

Ausblick

Zurzeit ist noch unklar, wie genau ein Kontrollsystem in die Betriebsprüfung einbezogen werden soll. Die Finanzverwaltung wird hierzu Richtlinien formulieren müssen, um auch eine Gleichbehandlung der Unternehmen sicherzustellen. Damit muss der einzelne Prüfer nicht in jedem Fall „das Rad neu erfinden“. Die Berufsverbände sollten in das Projekt einbezogen werden. Es wird auch abzuwarten sein, welche gesetzlichen Neuregelungen sich als flankierend sinnvoll erweisen werden. Bisher hat sich die Rechtslage nicht geändert, insbesondere besteht nach der Abgabenordnung keine gesetzliche Pflicht zur Einführung eines Steuerkontrollsystems. Trotzdem kann sich ggf. faktisch ein gewisser Druck zur Einführung eines solchen Systems ergeben. Denn sollte die Finanzverwaltung künftig dazu übergehen, Unternehmen mit Kontrollsystemen gewisse Anreize in Aussicht zu stellen (Ideen wären z. B. Verfahrenserleichterungen im Nachweis oder in der Prüfungsdauer; erhöhte Bestandskraft), so kann dies umgekehrt zu Nachteilen für die sonstigen geprüften Betriebe führen. Solange keine gesetzliche Einführungspflicht besteht, wäre eine solche Differenzierung ein Verstoß gegen die Gleichmäßigkeit des Gesetzesvollzugs (Art. 3 Abs. 1 GG). Insbesondere wäre die Annahme einer Umkehr der Feststellungs- und Darlegungslast bei einem fehlenden Kontrollsystem rechtlich zweifelhaft, wenn hierfür keine gesetzlichen Grundlagen bestehen. Zunächst einmal müsste ein solches System m. E. durch Gesetz oder zumindest eine Verordnung typisiert definiert werden und seine Effektivität als typisiertes Modell untstreitig sein. Allerdings hatte das LG München I in einer umstrittenen Entscheidung – jedoch nicht in einem steuerlichen Verfahren – festgestellt, dass ein Vorstandsmitglied seiner Organisationspflicht nur bei Einrichtung einer angemessenen Compliance-Organisation genüge (Urteil v.  - 5 HK O 1387/10, NZG 2014 S. 345). Es sollte zudem im Pilotprojekt geklärt werden, ob sich die Betriebsprüfung bei der Berücksichtigung von Steuerkontrollsystemen nur auf aktuelle Sachverhalte (z. B. relevant für eine Umsatzsteuer-Nachschau) oder auch auf vergangene Umstände beziehen kann. Die Einführung eines Steuerkontrollsystems ist ein wachsender Prozess, so dass dieses anfangs weniger effektiv sein kann. Zudem bedeutet Transparenz seitens des Unternehmens eine leichtere „Angreifbarkeit“. Es ist daher notwendig, dass die Finanzverwaltung bereits jetzt im Pilotprojekt durch Rahmenbedingungen sicherstellt, dass die neuen Prüfungsmethoden nicht zu nachteiligen Wirkungen zulasten der Unternehmen führen. Es bleibt abzuwarten, ob Unternehmen tatsächlich von beschleunigten Prüfungsverfahren profitieren werden. Jedenfalls erscheint die (wünschenswerte) Hoffnung auf eine „verstärkte gegenseitige Vertrauensbasis“ (so die politische Verlautbarung) für viele Unternehmen noch in weiter Ferne. Im Rahmen des Pilotprojekts kann die Finanzverwaltung nun zeigen, wie sie diese politische Zielrichtung umsetzen möchte.

Es ist damit zu rechnen, dass nicht nur produzierende Großbetriebe mit einem Kontrollsystem von der neuen Prüfungsmethode betroffen sein werden. Auch bei einer Prüfung z. B. der oben genannten Familienvermögen dürfte an ein Kontrollsystem angeknüpft werden. Darüber hinaus können ebenso weitere Behörden bei ihren Prüfungen vorhandene Kontrollsysteme einbeziehen (z. B. Prüfungen durch die Sozialversicherung). Sollte es in Einzelfällen zu Strafverfahren kommen, werden sich Ermittlungsbehörden über umfangreiche Dokumentationen zu Unternehmensabläufen als Beweismittel freuen.

Unabhängig von der Frage, ob sich die politisch gut gemeinten Ziele des Projekts umsetzen lassen, sollte der Wert eines Steuerkontrollsystems für den Betrieb gesehen werden. Die Entwicklung der nationalen und internationalen Steuergesetzgebung erfordert verlässliche Unternehmensdaten, klare unternehmensinterne Prozesse und Koordinierungen in Unternehmensgruppen. Hierdurch können bei einer Pflege des Steuerkontrollsystems langfristig steuerliche Risiken für das Unternehmen und haftungs-, bußgeld- oder gar steuerstrafrechtliche Risiken für Organe und Mitarbeiter gemindert werden.

Autor

Dirk Beyer,
RA/FAStR, ist Mitarbeiter der Sozietät LHP Luxem Heuel Prowatke Rechtsanwälte Steuerberater PartG mbB in Köln. Er publiziert als Autor insbesondere zu den Themen Betriebsprüfung und Steuerstrafverfahren.


Fundstelle(n):
NWB 2022 Seite 1342 - 1343
NWB ZAAAI-61355

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