Die aktuellen Entwicklungen im Erbschaftsteuer- und Bewertungsrecht – Interview

Vizepräsident des BFH a.D. Hermann-Ulrich Viskorf, Notar Dr. Stephan Schuck und Notar Dr. Eckhard Wälzholz, Autoren des Kommentars zum Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, beleuchten im Interview die größten Herausforderungen für Steuerberater in diesem Bereich.

Was sind die aktuellsten Entwicklungen im Bereich Erbschaftsteuer- und Bewertungsrecht?

Herr Dr. Wälzholz: Es gibt derzeit eine Vielzahl von besonders praxisrelevanten und bedeutsamen aktuellen Entwicklungen. An erster Stelle steht sicherlich das beim BVerfG mal wieder anhängige Verfahren zur Klärung der Verfassungsmäßigkeit beziehungsweise Widrigkeit des aktuell gültigen Erbschaftssteuerrechts. Die Ungleichbehandlung von Betriebsvermögen und Privatvermögen dürfte hier den entscheidenden Ausschlag geben.

Das Gesetzgebungsverfahren zum Wachstumschancen-Gesetz löst die weitere größere Herausforderung, nämlich die Frage, wie Personengesellschaften ab dem 1. Januar 2024 schenkungsteuerrechtlich zu behandeln sind, obwohl das Gesamthandsprinzip zu diesem Zeitpunkt aufgegeben wird.

Als Drittes ist noch der längst überfällige und vor allem rechtspolitische Aspekt der Erhöhung der Freibeträge zu nennen. Im Hinblick auf riesige Wertsteigerungen und Inflation wäre es dringend geboten, die allgemeinen Freibeträge anzupassen.

Herr Dr. Schuck: Im Schenkungsrecht sind hier die Nießbrauchgestaltungen und die damit verbundenen Bewertungen von Immobilien zu nennen. Im Hinblick auf die §§ 5 und 10 ErbStG sind dies der Begriff des jungen Verwaltungsvermögens sowie die Änderung von letztwilligen Verfügungen und Eheverträgen.

Was sind Ihrer Meinung nach die derzeit größten Herausforderungen für Steuerberater in diesem Bereich?

Herr Viskorf: Grenzüberschreitende Erbfälle gewinnen durch eine zunehmende Internationalisierung der Lebensverhältnisse immer mehr an Bedeutung. Das nationale deutsche ErbStG erfasst zwar vom Grundsatz her jeden Vermögenerwerb durch Schenkung und von Todes wegen unabhängig von seiner Belegenheit und nationaler Zuweisung; es stellt auf das „Weltvermögen“ ab, ohne den Finanzbehörden angemessene Mittel zur Verfügung zu stellen, diesen Anspruch auch durchzusetzen, geschweige denn überhaupt davon Kenntnis zu erlangen. Die Vielzahl der jüngsten Publikationen, der finanzgerichtlichen Entscheidungen und Verwaltungsanweisungen zeugen von den vielfältigen, teilweise ungelösten Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen. Für alle, die sich mit der Erbschaftsteuer befassen, sind das echte Herausforderungen.

Herr Dr. Wälzholz: Eine der großen Herausforderungen für jeden Steuerberater sind vor allem die Bewertungsfragen bei Immobilien. Durch z. T. schwer nachvollziehbare oder politisch beeinflusste Feststellungen der Gutachterausschüsse, ist es für einen Steuerberater inzwischen fast unmöglich geworden, eine präzise Auskunft vorab über den bewertungsrechtlichen Wert von Grundbesitz zu erteilen, bevor dieser übertragen werden soll. Immer häufiger werden daher Wertgutachten angefordert, um Rechtssicherheit zu erreichen. Abgesehen davon ist vor allem Kreativität verlangt, um dem Mandanten noch die wenigen bestehenden Gestaltungsspielräume aufzuzeigen, sowohl im Bereich der vorweggenommenen Erbfolge als auch im Bereich der optimierenden Steuergestaltung. 

 

Welche Änderungen würden Sie sich am meisten wünschen und warum?

Herr Viskorf: Ich befürworte schon seit vielen Jahren eine grundlegende Reform des ErbStG mit einer Niedrigsatzbesteuerung und nur ganz wenigen Ausnahmen. Die derzeitige Regelung ist verfassungsrechtlich angreifbar, weil es bei entsprechender Gestaltung selbst große Vermögen steuerfrei stellt und andererseits kleinere Vermögenserwerbe mit Steuersätzen zwischen 30 % und 50 % belastet. Die Vergünstigungsregelungen sind viel zu kompliziert und praxisuntauglich. Es gibt nur wenige Spezialisten in Deutschland, die die Gesetzeslage richtig durchdrungen haben und auf der Gestaltungsklaviatur spielen können. Die Höhe der Steuerlast ist in rechtsstaatlich bedenklicher Weise gestaltungsabhängig. 

Herr Dr. Wälzholz: Am dringendsten dürfte in der breiten Masse die Erhöhung der Freibeträge sein, um die seit 2009 eingetretene Inflation auch bei den Freibeträgen abzubilden. Eine erneute Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Erbschaftssteuergesetzes würde hingegen nur wieder neue Unsicherheiten in der Gestaltungspraxis mit sich bringen. Für die Praxis wäre das keinesfalls wünschenswert. Vor allem Unternehmensnachfolgen würden dadurch im Zweifel in der Zukunft beeinträchtigt werden. 

Herr Dr. Schuck: Wünschenswert wäre eine deutliche Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung: hier schaut der „normale“ Steuerberater nicht mehr durch.

 

Was glauben Sie, welche Änderungen in der nahen Zukunft zu erwarten sind?

Herr Viskorf: Ich glaube nicht, dass angesichts der derzeitigen politischen Situation größere Änderungen kommen werden. Allenfalls ist mit kleineren Korrekturen, z. B. als Reaktion auf die Rechtsprechung des BFH und EuGH zu rechnen.

Herr Dr. Wälzholz: Zu hoffen wäre auf die Anpassung der Freibeträge. Ansonsten bin ich überzeugt davon, dass das aktuell gültige Erbschaftssteuerrecht und das Bewertungsrecht erstmal zur Ruhe kommen und keinen weiteren grundlegenden Reformen unterzogen werden sollten. Jede Änderung bringt immer Unsicherheiten mit sich, die die Gestaltungspraxis verunsichern. Einige konstante Jahre ohne Gesetzesänderungen sind daher aus Sicht der Praxis durchaus wünschenswert.

Herr Dr. Schuck: Das dürften Änderungen in der Besteuerung von EU-Auslandsvermögen sein.

 

Aus Ihrer Erfahrung: Wo liegen die größten Schwierigkeiten und Stolpersteine für die Praktiker?

Herr Viskorf:  Eindeutig im viel zu komplexen und inkonsistenten Steuerbefreiungsregime für betriebliches Vermögen und beim Familienheim. Diese Bereiche spielen in der Praxis eine überragende Rolle.

Herr Dr. Wälzholz: Im Bereich des Privatvermögens mit Immobilientransaktionen sind Grundstücksbewertungen regelmäßig die größte Schwierigkeit. Diese lassen sich aber regelmäßig durch Steuerklauseln, bedingte Gegenleistungen und steuer-bedingte Rückforderungsrechte i. S. des § 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG in den Griff bekommen. Für die Berater von Unternehmensnachfolgen ist vor allem die neue Auffassung der Finanzverwaltung zum jungen Verwaltungsvermögen und jungen Finanzmitteln bei Unternehmensumstrukturierungen und -nachfolgen ein erhebliches Hindernis (GLE vom 13.10.2022). Hier wäre es wünschenswert, dass der BFH bald Gelegenheit erhält, ein klärendes Urteil zu sprechen. Das Thema Verwaltungsvermögen und Finanzmittel bereitet bei Unternehmensnachfolgen immer wieder Schwierigkeiten. Vereinfachungen wären wünschenswert, dürften verfassungsrechtlich aber kaum realisierbar sein.

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Von Vizepräsident des BFH a.D. Hermann-Ulrich Viskorf, Notar Dr. Stephan Schuck, Notar Dr. Eckhard Wälzholz, Regierungsrat Torsten Bock, Ministerialrätin Gerda Hofmann, Richterin am BFH Dr. Anette Kugelmüller-Pugh, Rechtsanwalt Dr. Sebastian Löcherbach, Rechtsanwalt Steuerberater Dr. Stephan Viskorf, Dipl.-Finanzwirt (FH) Steffen Wiegand

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7. Auflage. 2023. XXXII, 1995 Seiten. Gebunden. 978-3-482-51687-0

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