Latente Steuern in der Rechnungslegung – Gesetzliche Anforderungen und Neuerungen sowie Praxisfragen und Handlungsempfehlungen

Die Bilanzierung latenter Steuern wird immer komplexer, denn die Kluft zwischen Steuer- und Handelsbilanz wächst stetig. Für die Erstellung des Jahresabschlusses ist es daher dringend notwendig, jetzt beim Thema latente Steuern sattelfest und auf dem aktuellen Stand zu sein.

I. Einordnung

Mit dem bereits durch das BilMoG seit 2010 erfolgten Konzeptwechsel hin zu einer bilanzorientierten Betrachtung haben latente Steuern auch seitdem weiterhin deutlich an Bedeutung in der Bilanzierungspraxis gewonnen. Zwar bestehen zum Teil Erleichterungsmöglichkeiten hinsichtlich der Bilanzierung oder zumindest der Erläuterung latenter Steuern für kleine bzw. mittelgroße Gesellschaften, aber der Anwendungsbereich latenter Steuern wurde deutlich verbreitert und auch die zunehmende Anzahl steuerlicher Spezialvorschriften, die sich auf die steuerlichen Wertansätze auswirken, erhöht die Bedeutung latenter Steuern. Aktuelle steuerliche Neuerungen führen hierbei zu einem immer weiter voranschreitenden Auseinanderfallen von Handels- und Steuerbilanz.

Die Regelungen zu latenten Steuern sind zwar rechtsformneutral formuliert, dennoch bestehen zum Teil erhebliche Unterschiede zwischen Kapitalgesellschaften und Personengesellschaften, die bei der Bilanzierung und Bewertung zu zusätzlichen Herausforderungen führen. Im Konzern treffen die bereits auf Ebene des Jahresabschlusses bestehenden Herausforderungen auf die zusätzlichen Anforderungen der konsolidierten Sichtweise einschließlich der erforderlichen Konsolidierungsmaßnahmen. Dabei sind latente Steuern in aller Regel keine unwesentlichen Posten, sondern können die Vermögens- und auch die Ertragslage von Unternehmen und Konzernen erheblich beeinflussen.

Aktuell gewinnen latente Steuern in mehrfacher Hinsicht an Bedeutung: Einerseits führen die Bestrebungen des Gesetzgebers, zur Abmilderung der Folgen der Krisen in den letzten Jahren positive Impulse für die Entwicklung der Wirtschaft zu setzen, zu Änderungen hinsichtlich der steuerlichen Regelungen bei der Nutzung von Verlusten, die Auswirkungen auf latente Steuern haben. Beispielhaft sind hier die aktuell geplanten Änderungen durch das Wachstumschancengesetz bei der Verlustverrechnung zu nennen. Andererseits werden aufgrund der Mindestbesteuerungsrichtlinie, die eine globale Mindestbesteuerung sicherstellen soll, Änderungen an den gesetzlichen Grundlagen zu latenten Steuern vorgenommen und neue Herausforderungen entstehen. Daneben treten die zahlreichen steuerlichen Erleichterungen, wie bspw. Regelungen zur digitalen Sofort-Abschreibung oder zur Wiedereinführung der degressiven Abschreibung, die rein steuerliche Vorschriften darstellen und keine Anwendung im Handelsrecht finden.

II. Zielsetzung latenter Steuern

Ausgehend von der Wortbedeutung des Begriffs „latent“, der sich auf etwas Verstecktes, das bereits vorhanden, aber noch nicht in Erscheinung getreten ist, bezieht, bilden latente Steuern Steuerposten und -effekte ab, deren Ursache bereits besteht, die aber (noch) nicht zu einer entsprechenden effektiven Steuerposition führen bzw. geführt haben. Die effektive Steuerwirkung ist also dem Grunde nach hinsichtlich ihres Eintritts bereits in der Wurzel angelegt, ist aber aktuell erst latent, d.h. noch versteckt, vorhanden. Inhaltlich besteht stets ein Zusammenhang zwischen einer latenten Steuer und einer effektiven Steuer, da eine latente Steuer immer dazu dient, künftig eintretende effektive Steuerwirkungen zu antizipieren.

Mit der Neufassung des § 274 HGB zu latenten Steuern durch das BilMoG erfolgte ein Konzeptwechsel von der bislang im HGB maßgebenden GuV-orientierten Sichtweise hin zur international üblichen bilanzorientierten Abgrenzungskonzeption. Dieses temporary-Konzept fokussiert den zutreffenden Ausweis bestehender Steueransprüche und -verbindlichkeiten gegenüber dem Fiskus und somit der richtigen Reinvermögensgröße.

Latente Steuern führen jedoch nie zu einer vollkommenen Erfassung aller (möglichen) Unterschiede zwischen den steuerlichen Werten und den handelsrechtlichen Größen, da permanente Differenzen – d. h. Differenzen, die sich nach ihrer Entstehung in der Zukunft nicht ausgleichen bzw. umkehren – bei der Bildung latenter Steuern nicht berücksichtigt werden.

Im Zusammenhang mit latenten Steuern sind drei Arten von Differenzen zu unterscheiden:

  • zeitliche Differenzen,
  • quasi-permanente Differenzen und
  • permanente Differenzen.

Vor diesem Hintergrund liefert das Themenspecial einen Überblick über die Anforderungen an die Bilanzierung, Bewertung und Erläuterung latenter Steuern. Rechtsformspezifische Besonderheiten werden dabei ebenso dargestellt wie die Besonderheiten in der konsolidierten Rechnungslegung. Darüber hinaus werden die Auswirkungen der geplanten Gesetzesänderungen insbesondere durch das Wachstumschancengesetz und das Mindeststeuergesetz dargestellt und praktische Anwendungsfragen – auch auf Basis bereits bestehender steuerlicher Erleichterungen – an Beispielen veranschaulicht.

III. Fazit

Die Bilanzierung latenter Steuern ist in der Praxis mit zahlreichen Herausforderungen verbunden. Ursächlich hierfür ist die Komplexität der steuerlichen Regelungen, die im Vergleich zu den handelsrechtlichen Wertansätzen zu berücksichtigen sind. Bereits auf Ebene einer einzelnen Gesellschaft stellen sich zahlreiche Anwendungsfragen, die durch Sonderfälle wie Organschaften oder die Bilanzierung latenter Steuern in der konsolidierten Sichtweise des Konzernabschlusses weiter zunehmen. Bei der Bildung latenter Steuern sind regelmäßig die Folgewirkungen von steuerlichen Änderungen ebenso zu berücksichtigen wie Anpassungen bei den für latente Steuern zentralen Normen der §§ 274 und 306 HGB.

Die im Rahmen des KöMoG eingeführte Option zur Körperschaftsbesteuerung für Personenhandelsgesellschaften wirkt sich nicht nur auf die steuerliche Veranlagung aus, sondern hat auch Folgewirkungen für den handelsrechtlichen Jahresabschluss – sowohl hinsichtlich der effektiven als auch hinsichtlich der latenten Steuern. Daher sollten die mit der Option einhergehenden Effekte frühzeitig analysiert werden. Besonders zu beachten ist dies bereits im Jahr der Beantragung der Option zur Körperschaftsbesteuerung – d.h. vor der erstmaligen Anwendung der Option ab dem 1.1. des Folgejahres –, da bereits zum Jahresende bzw. zum Zeitpunkt der Schlussbilanz erhebliche ergebniswirksame Effekte eintreten können – sowohl durch den geänderten Steuersatz als auch bspw. durch den Untergang der bestehenden Verlustvorträge.

Es ist zu begrüßen, dass der Gesetzgeber mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben zu einer globalen Mindestbesteuerung (noch) nicht auf den Anwendungsbereich der latenten Steuern ausdehnt. Hier folgt der Gesetzgeber der Sichtweise des IASB, das eine entsprechende Ausnahme für latente Steuern in IAS 12 aufgenommen hat. Auch wenn Ansatz und Bewertung der latenten Steuern im Jahres- und Konzernabschluss durch die Neuregelungen zur Mindestbesteuerung nicht tangiert werden, nehmen die Berichtspflichten im Anhang und Konzernanhang deutlich zu. Die neuen Angabepflichten in Anhang und Konzernanhang sollen bereits erstmals für das kalenderjahrgleiche Geschäftsjahr 2023 zu beachten sein und dürfen nicht unterschätzt werden. Daher müssen sich Unternehmen, die unter den Anwendungsbereich der Regelungen zur Mindestbesteuerung fallen, zeitnah mit den entsprechenden Auswirkungen auseinandersetzen.

Gleiches gilt für die geplanten Maßnahmen des Wachstumschancengesetzes. Einige der diversen steuerlichen Regelungen, die Anreize und Wachstumsimpulse für die Wirtschaft setzen sollen, führen zu einem weiteren Auseinanderfallen von Handels- und Steuerbilanz und begünstigen so das Entstehen von Wertansatzdifferenzen, die der Bildung latenter Steuern zugrunde zu legen sind. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit einer sachgerechten Analyse und Erfassung der bestehenden Wertansatzdifferenzen, um die sich ergebenden latenten Steuern zutreffend und vollständig ermitteln zu können. Gleiches gilt für die Ausweitung der Möglichkeiten zur Verlustnutzung. Während die Verbesserung der Verlustvortragsmöglichkeiten den innerhalb von fünf Jahren nutzbaren Betrag und damit die darauf aktivierbaren latenten Steuern erhöht, hängt der Ergebniseffekt in der Handelsbilanz bei den erweiterten Möglichkeiten zum Verlustrücktrag davon ab, inwieweit die Steuerminderungswirkung des Verlustes durch die Aktivierung latenter Steuern bereits antizipiert wurde.

Letztlich stellt die Bildung latenter Steuern in Jahres- und Konzernabschluss eine große Herausforderung für die Bilanzierungspraxis dar. Das zunehmende Auseinanderfallen von Steuer- und Handelsbilanz in den letzten Jahren durch steuerliche Neuerungen wertet hierbei die Thematik der latenten Steuern auf. Zudem lassen sich aus dem Ansatz latenter Steuern im Einzelfall wichtige bilanzanalytische Schlussfolgerungen hinsichtlich der vom Bilanzierenden verfolgten Bilanzpolitik ziehen.

Das Themenspecial aus dem Paket NWB Unternehmensteuern und Bilanzen – StuB gibt einen umfassenden Überblick über die gesetzlichen Anforderungen und Neuerungen sowie Praxisfragen und Handlungsempfehlungen bei der Bilanzierung latenter Steuern. Zudem verdeutlichen Beispiele die Komplexität der relevanten Vorschriften. Das vollständige Themen-Special finden Sie als Abonnent in der NWB Datenbank unter NWB ZAAAJ-51136.

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