Sanierungsmaßnahmen in Fortbestehensprognosen

Liegt eine Überschuldung des Unternehmens vor, muss der Geschäftsführer eine Fortbestehensprognose erstellen. Welche Sanierungsmaßnahmen dürfen dort berücksichtigt werden – auch vor dem Hintergrund von Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken? Sind bereits Maßnahmen berücksichtigungsfähig, deren Realisierung nur „überwiegend wahrscheinlich“ ist?

Grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit

Inwieweit auf der Grundlage der Prognoserichtlinien Sanierungs- und Finanzierungsmaßnahmen berücksichtigt werden können, ist seit Langem umstritten. Klar ist zunächst, dass Sanierungs- und Finanzierungsmaßnahmen, die zum Erstellungsstichtag der Fortbestehensprognose bereits abgeschlossen sind, in der Prognose berücksichtigt werden müssen. Hierbei handelt es sich um bereits feststehende Tatsachen, sodass diese jedenfalls Eingang in die Prognose finden müssen. Das Prognoseelement beschränkt sich somit bei solchen Maßnahmen darauf, welche Auswirkungen diese bereits realisierten Maßnahmen im Prognosezeitraum mit überwiegender Wahrscheinlichkeit entfalten werden.

Zudem können auch solche Sanierungs- und Finanzierungsmaßnahmen eingeplant werden, die zum Erstellungsstichtag noch nicht realisiert sind, sondern erst umgesetzt werden sollen. Dies ist trotz der damit verbundenen Unsicherheiten unerlässlich, um tatsächlich lebensfähige Unternehmen nicht unnötigerweise in ein Insolvenzverfahren zu zwingen. Berücksichtigt werden können demnach sowohl Maßnahmen, die zum Erstellungsstichtag erst teilweise umgesetzt sind, als auch solche, deren Realisierung überhaupt erst im Rahmen der Umsetzung des Sanierungskonzepts erfolgen soll.

Erfordernis der überwiegenden Realisierungswahrscheinlichkeit

Unter welchen Voraussetzungen noch nicht realisierte Maßnahmen Berücksichtigung finden können, hat der BGH in der Air-Berlin-Entscheidung im Grundsatz geklärt. Demnach können sämtliche Sanierungs- und Finanzierungsmaßnahmen einschließlich Drittbeiträgen bereits dann berücksichtigt werden, wenn deren tatsächliche Realisierung überwiegend wahrscheinlich (> 50 %) ist, wenn also mehr für als gegen deren tatsächliche Realisierung spricht. Dies begründet der BGH vor allem damit, dass andernfalls ein Wertungswiderspruch zu prognostizierten Umsatzerträgen entstünde, die i. d. R. ebenfalls ohne verbindlichen Rechtsgrund eingeplant werden dürfen.

Dieser sanierungsfreundliche Ansatz, mit dem der BGH der strengeren – bei Drittbeiträgen auf eine Rechtsverbindlichkeit abstellenden – Linie im Grundsatz eine klare Absage erteilt hat, ist sachgerecht. So entspricht dieser dem gesetzlich vorgeschriebenen allgemeinen Prognosesicherheitsgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (§ 19 Abs. 2 Satz 1 InsO) und trägt dem Umstand Rechnung, dass entsprechend dem allgemeinen Prognosecharakter auch bezüglich Sanierungs- und Finanzierungsmaßnahmen eine Prognose zulässig sein muss. Zudem berücksichtigt er, dass rechtsverbindliche Absicherungen zum Prognoseerstellungsstichtag vielfach nur schwer oder auch gar nicht realisierbar sind und somit bei einem bloßen Abstellen darauf auch lebensfähige Unternehmen unnötigerweise in ein Insolvenzverfahren gezwungen würden.

Ob eine überwiegende Realisierungswahrscheinlichkeit besteht, muss maßnahmenspezifisch unter Berücksichtigung aller jeweils erkennbaren Umstände des Einzelfalls geprüft werden.

Praxishinweis: Beachten Sie, dass im Grundsatz die überwiegende Realisierungswahrscheinlichkeit auf jeder Entwicklungsstufe des Sanierungskonzepts bzw. der darauf gegründeten Fortbestehensprognose bestehen muss. Demnach ist vor allem bei größeren Unternehmen sowie bei Drittbeiträgen permanent – und im Übrigen auch nach erfolgter Erstellung der Fortbestehensprognose im Wege des Prognosecontrollings – zu prüfen, ob die überwiegende Realisierungswahrscheinlichkeit (noch) besteht. Sobald diese nicht mehr bejaht werden kann, darf die Maßnahme nicht mehr berücksichtigt werden. Hierbei kommt den Geschäftsleitern ein gewisser Beurteilungsspielraum zu.

Umsetzung bei autonom realisierbaren Maßnahmen

Autonom vom Unternehmen realisierbare („interne“) Maßnahmen sind solche, die in ihrer Umsetzung nicht vom Willen außenstehender Personen abhängig sind. Hierunter können etwa Kostensenkungs- oder Umsatzsteigerungsprogramme fallen. Sie sind in der Einschätzung ihrer überwiegenden Realisierungswahrscheinlichkeit gegenüber drittabhängigen Maßnahmen insofern einfacher handzuhaben, als dass bei Drittmaßnahmen eine Prognose auf den freien Willen des jeweiligen Dritten erforderlich und diese naturgemäß besonders unsicherheitsbehaftet ist.

Zur Darlegung der überwiegenden Realisierungswahrscheinlichkeit interner Maßnahmen ist eine genaue Maßnahmenplanung erforderlich. Diese bringt zum einen die tatsächliche Realisierungsabsicht zum Ausdruck und beugt so dem späteren Einwand vor, dass wegen der mit internen Maßnahmen zumindest anfangs verbundenen vor allem kostenmäßigen Belastung des Unternehmens gar kein tatsächlicher Umsetzungswille bestanden hätte. Zum anderen dient eine detaillierte Maßnahmenplanung als ideale Grundlage, um damit die tatsächliche Realisierbarkeit der Maßnahmen insbesondere auch in ihrem Zusammenspiel belegen zu können.

Inhaltlich sollte die Planung sowohl die Maßnahmen an sich als auch den geplanten Umsetzungsprozess in seinem inhaltlichen wie organisatorischen Ablauf genau beschreiben. Für einen sachverständigen Dritten muss so nachvollziehbar ersichtlich sein, welche Maßnahmen umgesetzt werden sollen, in welchen Schritten dies bis zur endgültigen Realisierung erfolgen soll, wer die Verantwortung für die Umsetzung trägt, wie die Finanzierung der Umsetzung erfolgen soll und dass so insgesamt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine Realisierbarkeit besteht. Besonders herausgearbeitet werden sollte dabei, quasi als Ergebnis, sowohl die feste Verwirklichungsabsicht der Geschäftsleiter als auch die tatsächliche Realisierbarkeit der Maßnahmen.

Praxishinweis: Sobald die Umsetzung innerbetrieblicher Maßnahmen von der Zustimmung Dritter wie etwa der Gesellschafterversammlung oder der Arbeitnehmervertretung abhängig ist, gelten hierfür die für Drittbeiträge maßgeblichen Richtlinien. Demnach sollte vor allem bei einer erforderlichen Gesellschafterzustimmung diese möglichst bereits vorliegen. Ansonsten muss auch hier die sachlich begründete Erwartung der Erlangung dieser Zustimmung bestehen. Andernfalls können die Maßnahmen keine Berücksichtigung finden, weil keine überwiegende Realisierungswahrscheinlichkeit besteht.

Umsetzung bei drittabhängigen Maßnahmen

Drittabhängige Maßnahmen sind solche, die in ihrer Umsetzung vom freien Willen außenstehender Personen abhängig und deshalb in ihrer Umsetzung besonders schwer prognostizierbar sind. Hierzu zählen beispielsweise Eigen- oder Fremdkapitalbeiträge von Gesellschaftern oder sonstigen Finanzierern, Stundungen, Forderungsverzichte oder auch die Stellung von Sicherheiten.

Gerade aufgrund ihrer schweren Prognostizierbarkeit besteht hier die besondere Gefahr, dass bei der Beurteilung der überwiegenden Realisierungswahrscheinlichkeit ein zu großer Optimismus Platz ergreift. Deshalb müssen Geschäftsleiter bei der Einschätzung von Drittbeiträgen besonders sorgfältig vorgehen. Erforderlich ist im Grundsatz eine konsequente und fortlaufende Prüfung der überwiegenden Realisierungswahrscheinlichkeit auf allen Entwicklungsstufen der Fortbestehensprognose. In Umsetzung dieses Grundsatzes lassen sich dann verschiedene Fallgruppen unterscheiden:

  • Erfordernis der überwiegenden Realisierungswahrscheinlichkeit auf jeder Entwicklungsstufe
  • Fallgruppe 1: Aussichtslose Realisierbarkeit eines Drittbeitrags
  • Fallgruppe 2: Sichere Realisierbarkeit eines Drittbeitrags
  • Fallgruppe 3: Sonstige Fälle, wie Gesellschafterbeiträge und Beiträge sonstiger Dritter
  • Einzelaspekte, wie z.B. Berücksichtigung von Patronatserklärungen oder Berücksichtigung von StaRUG-Effekten

Folgen einer Fehlbeurteilung

Verletzen Geschäftsleiter die vorstehenden Richtlinien zur Berücksichtigungsfähigkeit von Sanierungs- und Finanzierungsmaßnahmen schuldhaft und erstellen auf dieser Grundlage eine fehlerhafte Fortbestehensprognose, haften sie zivil- und zum Teil auch strafrechtlich. Zu unterscheiden sind insoweit zwei Fallgruppen:

  • Einplanung von Maßnahmen, obwohl dies mangels überwiegender Realisierungswahrscheinlichkeit tatsächlich nicht (mehr) gerechtfertigt ist;
  • Nicht-Einplanung von Maßnahmen, obwohl tatsächlich eine überwiegende Realisierungswahrscheinlichkeit besteht und somit eine Einplanung gerechtfertigt wäre.

Praxishinweis: Die Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken aus einer zu Unrecht angenommenen positiven Fortbestehensprognose sind für Geschäftsleiter enorm. Diesen ist deshalb dringend anzuraten, die Prognoseerstellung bzw. insbesondere auch die Beurteilung der Einplanbarkeit von noch nicht realisierten Sanierungs- und Finanzierungsmaßnahmen von einem fachkundigen Berater vornehmen zu lassen, um sich so in einem eventuellen späteren Gerichtsverfahren exkulpieren zu können.

 

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