Steuerberaterhaftung

Der nachfolgende Beitrag ist eine Leseprobe aus dem Ratgeber "Steuerberaterhaftung", herausgegeben von Rechtsanwalt Dr. Jürgen Gräfe, Rechtsanwalt Dr. Markus Wollweber und Fachanwalt für Steuerrecht und Rechtsanwalt Andreas Schmeer in der 7. Auflage aus dem Jahr 2021.

Erster Teil: Die zivilrechtliche Haftung des Steuerberaters

Erster Abschnitt: Haftpflichtprozess und Haftungstatbestände

A. Der Haftpflichtprozess – Prozessrechtliche Besonderheiten

I. Zulässigkeit der Haftpflichtklage gegen den Steuerberater

1. Vorverfahren, Schlichtung der Steuerberaterkammer

Sieht der mit einem Steuerberater geschlossene Vertrag vor Klageerhebung eine Schlichtung bei der Steuerberaterkammer vor, ist eine vorher anhängig gemachte Klage unzulässig.1

2. Parteifähigkeit, § 50 Abs. 1 ZPO

a) Sozietät/GbR

Im Regressprozess ist sie parteifähig und kann als Partei bezeichnet werden. Das Ausscheiden eines Sozius/ Gesellschafterwechsel im Prozess führt zu keinem Parteiwechsel.2 Name und Sitz der Sozietät, § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, und die vertretungsberechtigten Gesellschafter, § 130 Nr. 1 ZPO, sind zu benennen. Für den klagenden Mandanten ist es ratsam, dass alle Gesellschafter der Sozietät im Titel ausgewiesen werden, denn bei einer Zahlungsverpflichtung der Sozietät, sind neben ihr auch die Sozien als akzessorisch Haftende passivprozessführungsbefugt.

Die Scheinsozietät ist im Gegensatz zur Sozietät/GbR als Rechtspersönlichkeit nicht existent. Sie ist deshalb prozessual auch nicht Anspruchsgegnerin des Geschädigten.3 Die Klage gegen eine nicht existente Gesellschaft ist abzuweisen. Das gilt auch, wenn sie nachträglich zu einer Sozietät „erstarkt“, denn die Verbindlichkeit war während der Zeit der Scheinsozietät begründet worden. Eine automatische Haftungsübernahme gibt es nicht. Es haften regelmäßig nur die Scheingesellschafter persönlich für die Fehler des Einzelsteuerberaters oder der wirklichen Gesellschafter.4

Getrennte Prozessführung der verklagten Sozien: Die Interessen der als Streitgenossen verklagten Sozien sind nicht gleichgerichtet. Im Innenverhältnis können sich verschiedene Haftungsquoten ergeben. Deren Stellung innerhalb der Sozietät kann verschieden sein: Seniorpartner, Vollpartner, Juniorpartner, Scheinsozien. Es ist deshalb im Hinblick auf die Kostenerstattung gem. § 91 ZPO nicht rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB), wenn sie sich für eine getrennte Prozessführung entscheiden.5

Die Vereinigung aller Gesellschaftsanteile an einer GbR in einer Hand führt zum Erlöschen der Gesellschaft, da es eine Ein-Mann-GbR nicht gibt.6

Werden die Gesellschaftsanteile an der GbR veräußert und an eine GmbH übertragen, erlischt die GbR ohne Liquidation. Die beendete Gesellschaft ist aber weiterhin passiv parteifähig und wird gem. § 730 Abs. 2 Satz 2 BGB von allen Gesellschaftern gemeinschaftlich vertreten, wenn bei ihr noch Vermögen vorhanden ist. In Steuerberaterhaftungsprozessen besteht das verbliebene und ausreichende Restvermögen im Anspruch auf Schadenregulierung gegen deren Berufshaftpflichtversicherer.7

Hat ein Gesellschafter der GbR eine Kündigung erklärt, wandelt sie sich in eine Abwicklungsgesellschaft um. Deren Rechts- und Parteifähigkeit bleibt bestehen.8

Wird die GbR in eine Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung umgewandelt, bleibt die Parteifähigkeit der GbR bestehen. Bei dieser Umwandlung handelt es sich nicht um eine Rechtsnachfolge, sondern um eine identitätswahrenden Rechtsformwechsel. Während eines Prozesses erfolgt eine Rubrumsberichtigung.9

Ein Streit über die Parteifähigkeit einer Partei bewirkt, dass sie bis zur rechtskräftigen Klärung dieser Frage als parteifähig anzusehen ist. Damit kann die Partei auch Berufung einlegen mit dem Ziel, ihre Nichtexistenz geltend zu machen.10

b) Partnerschaftsgesellschaft

Die PartG ist wie die OHG gem. § 7 PartGG§ 124 HGB aktiv und passiv parteifähig. Ein Titel gegen die Gesellschaft berechtigt nicht zur Vollstreckung gegen die Partner, § 8 Abs. 1 PartGG§ 129 Abs. 4 HGB. Umgekehrt genügt ein Titel gegen einen Partner nicht zur Vollstreckung in das Gesamthandsvermögen der Partnerschaftsgesellschaft.

3. Gerichtsstand der Schadensersatzklage

Zuständig für eine Haftpflichtklage gegen den Steuerberater wegen vertraglicher Schadensersatzansprüche ist neben dem Sitz der Sozietät (§ 17 ZPO) das Gericht des Erfüllungsorts (§ 29 ZPO§ 269 BGB). Die Leistung des Steuerberaters wird in dessen Praxis erbracht. Dort werden die Bilanzen und Steuererklärungen gefertigt, die Buchführungen erstellt etc.11 Für Prüfungsleistungen des Abschlussprüfers soll nach Ansicht des LG Bonn etwas anderes gelten. Der Schwerpunkt der Arbeit finde am Sitz des zu prüfenden Unternehmens statt. Dort sei der Gerichtsstand des Erfüllungsortes.12 Diese Ansicht ist abzulehnen. Zwar werden Prüfungsmaßnahmen auch im Unternehmen durchgeführt, deren Auswertungen, die Analyse der zu prüfenden Bilanz, die Fertigung des geschuldeten Bestätigungsvermerks und des Prüfungsberichts, erfolgen jedoch in der Praxis des Prüfers. Dort ist der Schwerpunkt und Erfüllungsort des erteilten Prüfungsauftrags.

Deliktische Schadensersatzklagen wegen unerlaubter Handlungen des Steuerberaters sind am Ort der unerlaubten Handlung zu erheben (§ 32 ZPO). Handlungsort ist i. d. R. die Praxis. Es ist die Adresse zu suchen, unter der der Steuerberater tätig wurde.13 Die deliktische Schädigung begründet einen weiteren Gerichtsstand am Sitz des Verletzten, wenn dort dessen Vermögen geschädigt wurde.14

Gerichtsstand für Honorarklagen vgl. Rz. 304

4. Insolvenz des Steuerberaters während des Haftungsprozesses

Die Rechte und Pflichten in der Insolvenz des Steuerberaters ergeben sich aus der Insolvenzordnung (InsO) und aus § 110 VVG. Der geschädigte Anspruchsteller hat im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Steuerberaters ein Recht auf abgesonderte Befriedigung aus dessen Versicherungsanspruch gegen den Berufshaftpflichtversicherer. Der Deckungsanspruch ist als durchlaufender Vermögensbestandteil des Beraters anzusehen, der wirtschaftlich für den Anspruchsteller bestimmt ist.15

Zweck des Absonderungsrechts ist es, dem geschädigten Anspruchsteller Schutz vor wirtschaftlichem Verfall des Steuerberaters zu geben. § 110 VVG gibt ihm die Möglichkeit, die Forderung gegenüber dem Versicherer ohne die Beschränkungen des Insolvenzverfahrens und der allenfalls quotalen Ausschüttung erhalten zu können. Dem Geschädigten soll durch das Absonderungsrecht nach der Wertung des Gesetzgebers „die Entschädigung unter allen Umständen … zugutekommen“.16

Das Absonderungsrecht kann auf zwei Wegen geltend gemacht werden: Er kann die Haftpflichtforderung zur Tabelle anmelden. Er erwirkt entweder eine Feststellung i. S. von § 178 Abs. 1 InsO, die einem rechtskräftigen Urteil gleichgestellt ist, oder lässt das Absonderungsrecht bei Widerspruch des Insolvenzverwalters gegen diesen gerichtlich feststellen.17 Nach der VVG-Reform muss der Insolvenzverwalter bei Anerkenntnissen durch Feststellung zur Tabelle nicht mehr den vollständigen Verlust des Versicherungsschutzes befürchten.

a) Haftungsprozess vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens

War ein Haftungsprozess vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens des Steuerberaters bereits anhängig, kann der Prozess sowohl vom Insolvenzverwalter als auch vom Haftpflichtkläger aufgenommen werden (§ 86 Abs. 1 Nr. 2 InsO).18

Nimmt der Kläger die Zahlungsklage auf, muss er den Antrag auf die Leistung aus der Versicherungsforderung beschränken.

Liegt bei Insolvenzeröffnung bereits eine Kostengrundentscheidung vor, wird das Kostenfestsetzungsverfahren gem. § 240 ZPO unterbrochen. Auch dieses Verfahren kann aufgenommen werden, da der Versicherer für die Kosten einzustehen hat.19

b) Umstellung des Zahlungsantrags nach der Insolvenzeröffnung:

Die ursprüngliche Zahlungsklage gegen den Steuerberater wird ergänzt. Dadurch wird deutlich, dass das Absonderungsrecht geltend gemacht wird.

„Der Kläger beantragt, den Beklagten zu verurteilen, … EUR an den Kläger zu zahlen, beschränkt auf seinen Anspruch auf Leistung durch die … Versicherungs-AG aus dem Vermögensschadenhaftpflichtversicherungsvertrag Nr. … des Steuerberaters … wegen Verletzung des Steuerberatungsvertrages, hilfsweise festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den ihm aus der Verletzung des Steuerberatungsvertrages entstandenen Vermögensschaden in Höhe von … EUR nebst Zinsen in Höhe von … zu ersetzen, beschränkt auf die Leistung durch die … Versicherungs-AG aus dem Vermögensschadenhaftpflichtversicherungsvertrag Nr. … des Steuerberaters …“20

Der Insolvenzverwalter des Steuerberaters wird i. d. R., weil das Absonderungsrecht für die Masse keine Bedeutung hat, den Anspruch des Geschädigten freigeben. In diesem Fall kann dieser seinen Anspruch weiterhin direkt gegen den Steuerberater geltend machen. Da das Absonderungsrecht pfandrechtsähnlich ist, verfolgt er seine Klage mit einem Antrag auf Duldung der Zwangsvollstreckung in den Versicherungsanspruch. Damit wird festgestellt, dass ihm das Pfandrecht zusteht und ihm das Recht zur Befriedigung aus dem Deckungsanspruch zusteht.21

Der Beklagte wird verurteilt zu dulden, dass der Kläger wegen einer ihm gegen den Beklagten zustehenden Schadensersatzforderung in Höhe von ….EUR die Zwangsvollstreckung in den dem Beklagten gegen die …..Versicherung unter der Schaden-Nr. ….. zustehenden Freistellungsanspruch betreibt.

c) Direktanspruch des Geschädigten gegen den Versicherer des Steuerberaters, § 115 VVG:

Die VVG-Reform hat in § 115 VVG dem Geschädigten die Möglichkeit eines Direktanspruchs gegen den Versicherer eröffnet. Er kann seinen Haftungsanspruch direkt gegen den Versicherer geltend machen. Das aufwendige Verfahren gem. § 110 VVG bleibt aber weiterhin möglich.

Voraussetzung für den Direktanspruch:

  • Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des VN oder

  • Abweisung des Eröffnungsantrages mangels Masse oder

  • Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters oder

  • unbekannter Aufenthaltsort des VN.

Versicherer und Steuerberater sind Gesamtschuldner des geschädigten Anspruchstellers (§ 116 VVG).

5. Insolvenz des geschädigten Mandanten

Insolvenzverwalter haben im Falle einer Insolvenzverschleppung erkannt, dass man Steuerberater und deren Haftpflichtversicherung u. U. erfolgreich auf Schadensersatz in Anspruch nehmen kann. Hierdurch kann die Insolvenzmasse aufgefüllt werden.22 Eine deutlich vor Antragstellung eingetretene Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit wird oftmals durch Zahlen aus der Buchhaltung beweisbar. Durch die Anmeldungen zur Tabelle kann gezeigt werden, dass der Schuldner bereits seit längerem Verbindlichkeiten vor sich hergeschoben hat. Im Prozess genügt der Insolvenzverwalter seiner Darlegungslast im Hinblick auf die Überschuldung, wenn er eine Handelsbilanz mit Fehlbetrag vorlegt und erläutert, ob sich nach Insolvenzrecht Abweichungen etwa wegen stiller Reserven ergeben.23

Der Insolvenzverwalter kann für Schadensersatzansprüche Prozesskostenhilfe beantragen. Er hemmt damit den Verjährungseintritt des Haftungsanspruchs. (§ 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB) Sie wird gewährt, wenn die Kosten aus der Masse nicht aufgebracht werden können und den wirtschaftlich Beteiligten nicht zuzumuten ist, die Kosten aufzubringen.24

Kommt Prozesskostenhilfe nicht in Betracht oder wird sie nicht bewilligt, wird der Insolvenzverwalter die Möglichkeit einer gewerblichen Prozesskostenfinanzierung prüfen.

II. Art der Schadensersatzklagen
1. Zahlungsklage oder Klage auf Befreiung von einer Verbindlichkeit?

I. d. R. erhebt der Geschädigte eine Leistungsklage auf Zahlung der vermeidbar gewesenen Steuer. Es steht ihm frei, einen Teilbetrag eines Gesamtschadens einzuklagen. Die Klage muss gem. § 253 Abs. 2 ZPO hinreichend bestimmt sein, d. h. es muss deutlich gemacht werden, welcher Teil eines Anspruchs oder welche von mehreren selbständigen Einzelforderungen Klagegegenstand ist oder in welcher Reihenfolge die Teilforderungen zur Entscheidung gestellt werden.25

Belastet ihn noch kein bestandskräftiger Steuerbescheid, besteht keine Möglichkeit, vom Steuerberater Freistellung von einer Steuerverbindlichkeit zu verlangen, bzw. nach Ablehnung der Freistellung, ihn auf Zahlung zu verklagen (vgl. unten: Feststellungsklage).26 Ausnahmsweise ist ein Befreiungs-/Zahlungsanspruch auch in diesem Fall möglich, wenn der Mandant auf einen nicht bestandskräftigen Steuerbescheid bereits Zahlungen geleistet hat. Ebenso, wenn Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen ihn be­trieben werden. Dabei ist es gleichgültig, ob sie erfolgreich sind.27 Der Steuerberater wird in diesen Fällen geschützt, weil er dem Freistellungs-/Zahlungsbegehren des Mandanten nur Zug-um-Zug gegen Abtretung eventueller Rückzahlungsansprüche gegen die Finanzbehörde entsprechen muss.28

Der Anspruch auf Schuldbefreiung wandelt sich gem. § 250 Satz 2 BGB in einen Schadensersatzanspruch, wenn der Schädiger/Steuerberater die Leistung ernsthaft und endgültig abgelehnt hat.29

Beispiel

Hat der Mandant aufgrund einer unrichtigen Auskunft des Steuerberaters eine Bürgschaftserklärung abgegeben, hat er einen Befreiungsanspruch im Hinblick auf die eingegangene Bürgschaftsverpflichtung. Weigert sich der Steuerberater, kann der Mandant ohne vorherige Fristsetzung Schadensersatz in Geld verlangen.30

2. Zug-um-Zug-Klage

Bei fehlerhafter Anlageberatung und bei Prospekthaftungsansprüchen kann der Geschädigte Rückgängigmachung der Kapitalanlage oder der Beteiligung verlangen. Diese erfolgt durch Erstattung aller von ihm geleisteten Zahlungen Zug-um-Zug gegen Übertragung der Beteiligung auf den Steuerberater.31

Der Klageantrag lautet dann:

„1) den Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz i. H. von …..€ an den Kläger zu verurteilen, Zug um Zug gegen Übertragung sämtlicher Rechte an der Beteiligung des Klägers an der …Fonds KG mit Sitz in ….unter der Beteiligungsnummer …., zuzüglich Zinsen i. H. von …..

2) festzustellen, dass sich der Beklagte wegen der unter Ziffer 1 benannten Übertragung der Beteiligungsrechte in Annahmeverzug befindet.“

Im Insolvenzverfahren des schädigenden Steuerberaters kann eine Zug-um-Zug-Forderung gegen ihn weder zur Tabelle angemeldet noch festgestellt werden. Die Schadensersatzforderung kann aber gem. § 45 Satz 1 InsO unter Berücksichtigung des vom Geschädigten zu übertragenden Werts der Beteiligung ohne Zug-um-Zug-Vorbehalt zur Tabelle angemeldet werden. Der Wert ist für den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu schätzen.

3. Feststellungsklage

Der Mandant kann eine Feststellungsklage gem. § 256 Abs. 1 ZPO erheben, wenn ein rechtliches Interesse an der Feststellung des Schadensersatzanspruchs besteht, der Schaden aber noch nicht bezifferbar ist.

Soweit Tatsachen streitig sind, die sowohl zulässigkeits- als auch anspruchsbegründend sind, ist für die Prüfung der Zulässigkeit allein auf den Parteivortrag der Klagepartei abzustellen.33

Ein Feststellungsinteresse auf Ersatz eines Vermögensschadens ist nicht gegeben, wenn der Eintritt eines Schadens – nicht nur dessen Höhe – ungewiss ist. Läuft noch keine Verjährungsfrist, weil der schädigende Steuerbescheid noch nicht bekanntgegeben wurde, kann trotzdem bereits ein Feststellungsinteresse vorliegen.34 Der BGH hat klargestellt, dass dies gegeben sein kann, wenn eine Verjährungsfrist noch nicht angelaufen ist. Es kann sich daraus ergeben, dass eine Vermögensgefährdung sich konkretisiert hat und der Eintritt eines Schadens wahrscheinlich geworden ist. Beispiel: Liegt das Ergebnis der Betriebsprüfung in Form des Bp-Berichts vor, muss nicht abgewartet werden, bis die bevorstehenden nachteiligen Steuerbescheide bekanntgegeben werden.35 Art, Umfang und Ausmaß des Schadens sind nicht im Einzelnen zu belegen. Für das Feststellungsinteresse reicht es, wenn der Mandant die Vermögensbeeinträchtigung aus dem Bp-Bericht kennt.

Hat der Steuerberater seine Schadensersatzpflicht dem Grunde nach anerkannt, gibt er keinen Anlass zur Erhebung einer Feststellungsklage.36

Ist wegen fehlerhafter Beratung eine Eigenheimzulage – bzw. § 7b EStG a. F. – in Anspruch genommen worden, entsteht ein Schaden erst, wenn für ein weiteres Objekt eine höhere Zulage – AfA – wegen Objektverbrauchs versagt wird. Erforderlich ist ein Antrag des Mandanten, der abschlägig vom Finanzamt beschieden wird, um einen Schaden auszulösen. Solange dieser nicht gestellt ist, kann kein Schaden entstanden sein und er ist auch noch nicht wahrscheinlich. Ein Feststellungsinteresse für eine Feststellungsklage gem. § 256 Abs. 1 ZPO ist nicht gegeben.37

Wird gegen den schädigenden Steuerbescheid Einspruch eingelegt und ist über ihn rechtskräftig noch nicht entschieden worden, kann der entgültige Schaden nicht beziffert werden. Die Feststellungsklage ist zulässig.38 Sie bleibt auch nach Beendigung des Einspruchs- oder Klageverfahrens zulässig. Das Feststellungsinteresse entfällt nicht, wenn aufgrund veränderter Sachlage nun eine Leistungsklage möglich wäre.39 Der Kläger muss auch nicht zur Leistungsklage übergehen, wenn der Schaden vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung teilweise bezifferbar geworden ist.40

Befindet sich der Schaden bei der Klageerhebung in der Fortentwicklung, ist die Feststellungsklage insgesamt zulässig, auch wenn der Anspruch teilweise beziffert werden könnte. Der Geschädigte kann aber auch wegen des bezifferbaren Schadens eine Leis­tungsklage und darüber hinaus eine Feststellungsklage erheben.41 Falls der Steuerberater einen Gewerbesteuerschaden zu erstatten hat, erhöht diese das Einkommen des Auftraggebers und löst seinerseits Körperschaftssteuer aus. In welchem Umfang eine steuerliche Folgebelastung entsteht, kann vor Eintritt der Steuerpflicht nicht festgestellt werden, so dass dieser berechtigt ist, auf Feststellung zu klagen.42 Die Möglichkeit von Folgeschäden reicht für ein Feststellungsinteresse i. S. des § 256 ZPO aus.

Der Steuerberater kann eine negative Feststellungsklage erheben, wenn der Mandant nur eine Teilklage erhebt.43 Er muss sich nicht auf das Angebot einlassen, im Falle der Abweisung der Teilklage die Forderung insgesamt nicht mehr geltend zu machen.44

Der Feststellungsantrag muss hinreichend bestimmt sein (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Aus dessen Wortlaut muss sich erschließen, auf welche fehlerhafte Beratung er sich bezieht und für welche Veranlagungsjahre, Steuerarten und Steuerpflichtige ein Schaden festgestellt werden soll. Dabei kann der Sachvortrag zur Auslegung herangezogen werden.45 Es muss der Umfang der materiellen Rechtskraft bestimmbar sein.46

„Der Kläger beantragt festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche finanziellen Nachteile zu ersetzen, die ihm dadurch entstehen, dass mit Bescheid des Finanzamtes A. vom  über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen zm  das steuerliche Einlagenkonto mit 0 € bestandskräftig festgestellt worden ist.“

Geht es um eine Prospekthaftungsklage, in der Schadensersatz Zug um Zug gegen Abtretung der Beteiligung beantragt wird, kann die Klagepartei den zusätzlichen Feststellungsantrag stellen,

dass sich die beklagte Partei mit der Annahme der Abtretung der Beteiligung an der Beteiligungs AG Nr. – in Verzug befindet.“

Das Feststellungsinteresse folgt aus § 765 ZPO. Es entfällt die Pflicht zum Nachweis des Annahmeverzugs durch öffentliche Urkunde. Ungeachtet des Zug-um-Zug-Vorbehalts im Entscheidungstenor, kann die Vollstreckung betrieben werden.47

4. Teilklage

Der Umfang der Verjährungshemmung gem. §§ 204209 BGB richtet sich nach dem Streitgegenstand der Regressklage, d. h. dem Klageantrag und dem zur Begründung vorgetragenen Sachverhalt.

Bei einer „verdeckten Teilklage“, bei der weder für den beklagten Steuerberater noch das Gericht erkennbar ist, dass die bezifferte Klageforderung nicht dem Gesamtscha­den entspricht, tritt die Verjährungshemmung nur im beantragten Umfang ein. Der nachgeschobene Teilanspruch ist verjährungsrechtlich selbstständig zu beurteilen.48

III. Prüfung des Gerichts
1. Auftragsinhalt, Steuersachverhalt

Aufgeklärt werden der Mandatsumfang und der streitauslösende Steuersachverhalt. Die Darlegungs- und Beweislast für den Vertragsinhalt trägt der geschädigte Mandant.49 Er muss greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Vertragsinhalts vortragen. Wann und gegenüber wem wurde der Auftrag erteilt? Wer hat ihn wann angenommen? Gibt es Belege für die Beauftragung? Die Behauptung, der Auftraggeber habe kein hinreichendes Fachwissen gehabt, lässt nicht den Rückschluss auf eine umfassende Beauftragung zu.

Beim Steuerberatungsvertrag mit Drittwirkung enthält der Vertrag i. d. R. keine ausdrückliche Regelung über die Schutzwirkung zugunsten eines Dritten.

Der Tatrichter nimmt eine Auslegung des Steuerberatungsvertrags vor. Sie hat sich nicht allein am Wortlaut des Vertrags, sondern an den Gesamtumständen des Sachverhalts zu orientieren.50 Eine interessengerechte Auslegung erfordert die Abreden auf einen vertretbaren Sinngehalt zurückzuführen.51 Das Revisionsgericht prüft nur noch, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt wurden oder wesentlicher Sachverhalt nicht beachtet wurde.52

2. Mitverschulden

Die Entscheidung des Gerichts im Verfahren über den Anspruchsgrund ist gem. § 318 ZPO bindend für das Betragsverfahren.53 Das gilt sowohl für den Einwand des § 254 Abs. 1 BGB als auch für den wegen Verletzung der Schadensminderungspflicht gem. § 254 Abs. 2 BGB.

Das Mitverschulden ist Im Regressprozess von Amts wegen zu prüfen.54 Das Mitverschulden ist grds. mit dem Verschulden zusammen als Teil des Anspruchsgrunds zu bescheiden und zu gewichten.55

Die Frage des Ausmaßes des Mitverschuldens – nicht die Beseitigung der Schadenshaftung – kann im Betragsverfahren geklärt werden. Voraussetzung bleibt aber, dass im Grundurteil das Mitverschulden kenntlich gemacht ist. Befassen sich weder der Urteils­tenor noch die Entscheidungsgründe mit der Frage eines etwaigen Mitverschuldens, wurde der Schadensersatzanspruch ohne jede Einschränkung bindend festgestellt.56

Wird die Haftungsverteilung i. S. von § 254 BGB im Revisionsverfahren angegriffen, kann diese nur dahin geprüft werden, ob alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung zugrundegelegt wurden.57

Wird nur Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz des hälftigen Schadens, d. h. ein Teil des Anspruchs, eingeklagt, ist ein Mitverschulden nicht zu berücksichtigen, wenn der Schädiger jedenfalls den eingeklagten Teil zu ersetzen hat.58 Damit kann dem Kläger die Einrede aus § 254 BGB nicht entgegengehalten werden. Andernfalls müsste er stets einen Teil der Prozesskosten tragen.59 Ein vom Kläger eingeräumter Mithaftungsanteil i. S. von § 254 BGB ist daher vom Gesamtschaden, nicht vom eingeklagten Betrag, abzuziehen.60

3. Beweisantrag und Beweiserhebung

Laumen, Beweisführungs- und Beweislastprobleme bei der zivilrechtlichen Haftung des Steuerberaters, DStR 2015, 2514ff.

Der beweispflichtige geschädigte Mandant kann neben dem allgemeinen Zeugenbeweis gem. § 287 Abs. 1 Satz 3 ZPO seine Vernehmung als Partei anbieten.61 Möglich ist auch dessen Vernehmung von Amts wegen.62 Eine Parteivernehmung gem. § 287 Abs. 1 Satz 3 ZPO ist geboten, wenn es um innere, in einer Person liegende Tatsachen geht.

Beispiel

Welche Entscheidung hätte der Mandant bei pflichtgemäßer Beratung getroffen? Hier ist die Parteivernehmung unabhängig von den Voraussetzungen des § 448 ZPO möglich. Das Gericht kann sich stattdessen mit einer Parteianhörung gem. § 141 ZPO begnügen und die Aussagen in den Urteilsgründen verwerten.63

Fehlt es an greifbaren Anhaltspunkten für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts, ist der Vortrag substanzlos. Er erfolgt „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein” und wird vom Gericht abgelehnt.64

Es ist dem geschädigten Mandanten nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung durch eine Zeugenvernehmung auch hinsichtlich solcher Punkte zu verlangen, über die er selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt. Behauptet er, zur Abwendung eines Steuer­schadens hätte er einen Grundstückskaufvertrag schon bis zum Jahresende vorziehen können, muss das Gericht den angebotenen Zeugen vernehmen, auch wenn der Mandant keine Indizien für eine Bereitschaft der Käuferin zu einer beschleunigten Vertragsdurchführung vorgetragen hat.65

Will im Regressprozess das Berufungsgericht die Aussage eines in der Vorinstanz vernommenen Zeugen anders auslegen oder bewerten, muss es den Zeugen erneut vernehmen.66

Die Auffassung der Finanzverwaltung unterliegt im Regressprozess der eigenständigen Überprüfung durch das Zivilgericht. Es gibt keine Bindungswirkung für das Gericht.

Die Frage nach dem Verschulden des Steuerberaters ist eine Rechtsfrage, die das Gericht und nicht ein Sachverständiger zu beantworten hat.67

4. Hinweispflicht des Gerichts, § 139 Abs. 2 ZPO

Das Gericht muss auf Darlegungsmängel im Klagevortrag hinweisen. Bei Verstoß gegen diese richterliche Pflicht kann die betroffene Partei eine Verletzung des Rechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs rügen und din der Berufung ihren Vortrag ergänzen.

Ein Hinweis ist entbehrlich, wenn die Partei durch eingehenden Vortrag der Gegenpartei zutreffend über die Sach- und Rechtslage unterrichtet wurde.68

Buchcover "Steuerberaterhaftung"

Steuerberaterhaftung

Zivilrecht - Steuerrecht - Strafrecht.

Herausgegeben von Rechtsanwalt Dr. Jürgen Gräfe, Rechtsanwalt Dr. Markus Wollweber, Fachanwalt für Steuerrecht und Rechtsanwalt Andreas Schmeer.

7. Auflage. 2021. XVI, 954 Seiten. Gebunden.
ISBN: 978-3-482-50567-6

Preis: 169,00 €

Fundstelle(n):
NWB AAAAH-77903


1LG Köln, GI 2012 S. 94 betr. Praxisabwicklervertrag.

2, NJW 2011 S. 615.

3, DB 2012 S. 106 betr. Einbringung einer Einzelkanzlei als Scheinsozietät betriebenen Anwaltskanzlei in eine Anwalts-Sozietät/GbR.; Brandenburgisches , juris.

4, DB 2012 S. 106 betr. Einbringung einer Einzelkanzlei als Scheinsozietät betriebenen Anwaltskanzlei in eine Anwalts-Sozietät/GbR.; Brandenburgisches , juris.

5, WM 2013 S. 1428 betr. eine weltweittätige Gesellschaft amerikanischen Rechts. Der Schaden war potenziell existenzgefährdend.

6, DStR 2008 S. 1792 betr. Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters bei GbR mit Fortsetzungsklausel.

7, nachgehend , DStR 2017 S. 2511.

8, Rz. 7.

9Brandenburgisches , Rz. 11; .

10, NJW 2010 S. 3100.

11, NJW 2006 S. 1806 betr. Kanzleisitz des Anwalts; , NJW-RR 2010 S. 789 betr. Vertrag über Softwareentwicklung.

12, DB 2005 S. 994 m. krit. Anm. von Ditges.

13OLG Düsseldorf, GI 2004 S. 86 betr. Anwaltsvertrag.

14, NJW-RR 1993 S. 701.

15Thole, NZI 2013 S. 665.

16, NJW 1986 S. 1244; VersR 2001 S. 90.

17BGH, VersR 1954 S. 579.

18, WM 2013 S. 1654, Anm. Schnepp, NZI 2013 S. 886.

19, WM 2013 S. 1654, Anm. Schnepp, NZI 2013 S. 886.

20Vgl. OLG Dresden, Urteil v.  - 8 U 1544/07; Gogger, Insolvenzgläubiger-Handbuch, 2002, S. 314.

21, NJW-RR 2016 S. 1065.

22Ehlers, NZI 2008 S. 211; Schwarz, NZI 2012 S. 869; Kruth, SteuK 2014 S. 225.

23, DStR 2008 S. 1246; Zugehör, NZI 2008 S. 652.

24G. Fischer, NZI 2014 S. 241.

25Vgl. LG Krefeld, Urteil v.  - 3 O 93/11 betr. Teilklage bei Schäden in mehreren Veranlagungsjahren.

26, OLGR 2007 S. 713.

27OLG Düsseldorf, GI 2002 S. 273.

28; OLG Düsseldorf, GI 2002 S. 273.

29, NJW 1991 S. 2014; OLG Düsseldorf, GI 2004 S. 12.

30BGH, WM 1965 S. 289 m. w. N.

31, NJW 2004 S. 2228; , NJW 2006 S. 2042.

32, NJW 2014 S. 3436 betr. Schadensersatz gegen eine Wp-Gesellschaft als Treuhandkommanditistin – cinerenta.

33, Rz. 5; , Rz. 16.

34, NJW 1993 S. 650; , NJW 1991 S. 2707; , NJW 1996 S. 1062.

35, NJW-RR 2015 S. 626.

36OLG Oldenburg, Urteil v.  - 2 U 245/78; .

37, NJW 1993 S. 648; , NJW 1996 S. 1062.

38, NJW 1984 S. 1552; BGH, VersR 1998 S. 305.

39, DStR 2015 S. 92.

40, Rz. 26.

41, BRAK-Mitt 2010 S. 127; Zöller/GregerZPO, § 256 Rz. 7a.

42.

43, NJW 1993 S. 2609.

44.

45, NJW 2001 S. 445.

46, GI 2015 S. 152; Zöller/GregerZPO, § 256 Rz. 13.

47, Rz. 52.

48, GI 2013 S. 75; , BGHZ 151 S. 1.

49, Rz. 12; , WM 2016 S. 2089, Rz. 20.

50, BGHZ 193 S. 297; , NJW 2002 S. 1260 zur Vertragsauslegung.

51, NJW 2017 S. 3376, Rz. 17.

52, DB 2018 S. 440.

53, NJW 2001 S. 2169.

54, NJW 1991 S. 165.

55, NJW 2003 S. 2986; , NJW 1993 S. 522.

56, NJW 2001 S. 2169; , BGHZ 110 S. 196.

57, DB 2016 S. 2955.

58RG, RGZ 122 S. 360; OLG Schleswig, Urteil v.  - 9 U 71/82, VersR 1983 S. 932.

59RG, RGZ 122 S. 360.

60Zöller/GregerZPO, § 253 Rz. 16;  ZInsO 2012 S. 330 betr. Insolvenzverschleppungsschaden, Berufung -3.

61, NJW 2015 S. 770.

62, NJW 2015 S. 770.

63, NJW-RR 2006 S. 1645.

64, Rz. 20; , NJW-RR 1996 S. 56; , NJW-RR 2000 S. 208; , NJW-RR 2009 S. 1236 betr. Anforderungen an einen ordnungsgemäßen Sachvortrag.

65, NJW-RR 2015 S. 829.

66, NJW-RR 2015 S. 829.

67; vgl. Rz. 1975 „Schadensfeststellung”.

68, Anmerkung Hömig/Matz, DStR 2019 S. 1063; OLG Rostock, Urteil v.  - 6 U 132/04.

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